Grundlage
des Werkes ist die von Stefan Zweig im brasilianischen Exil verfasste
gleichnamige Novelle. Mit seiner letzten literarischen Arbeit verarbeitete der
in Wien geborene Autor seinen Ekel vor der austrofaschistischen und
nationalsozialistischen „völkischen Erhebung“ sowie die Konfrontation mit der
Staatsmacht zur Zeit des Nationalsozialismus.
Das Schachduell zwischen Czentovic (Tomohiro Takada) und Dr. Berger (Jörg Sabrowski) © Olaf Struck |
„Seine
unter dem Einfluß Sigmund Freuds entstandenen Novellen zeichnen sich durch
geschickte Milieuschilderungen und einfühlsame psychologische Porträts aus“, so
Literaturkritiker Reich-Ranicki über
den Autor. Die bewegende Geschichte des Aufeinandertreffens zweier Schachgenies
mit ihrem jeweils ganz eigenartigen Einstieg in die Welt des Schachs soll so
auch in Halffters Oper zum Thema gemacht werden. Der aus der Geschichte
hervorgehende Grundgedanke von Wahnsinn, verbunden mit dem daraus evozierten
Ausbruch von Widerstand gegen das nationalsozialistische System sowie dem aus
völliger Isolation hervorgerufenen inneren Konflikt mit sich selbst, wird
mittels seiner „neuer Musik“ intensiviert und in den Mittelpunkt gerückt. Durch
radikale Erweiterung der konventionellen Formen von Harmonik, Melodik und Rhythmik,
zieht der spanische Komponist alle Register. Auf der Suche nach neuen
musikalischen Formen und Verbindungen gelingt es ihm, in seinem 100-minütigen
Einakter eine engere Verbindung von Klang und Inhalt zu schaffen, die gegen
jede Tradition einer klassischen Oper verstößt.
Der innere Kampf zwischen Ich Schwarz und Ich Weiß © Olaf Struck |
Für den ungeübten Zuhörer eine einzige Kakophonie, stellt es jedoch für den aufmerksamen Anhänger der „Neuen Musik“ eine vielfältige Welt der Klänge bereit. Halffters moderne Kompositionsweise der zeitgenössischen Musik setzt auf Fließgeschwindigkeit, Intonation und komplexe Harmonik, die dabei lediglich ihrer eigenen Gesetzmäßigkeiten untergeben ist und somit großen Raum für das klangliche Material der Sänger offen lässt. Wer klassischen Tonsatz erwartet, ist hier fehl am Platz.
Eine weitere Besonderheit bietet die Eingliederung von tonalem Material in das atonale Grundgeschehen. So stellt der Einschub einer von der Schiffskapelle zur Begrüßung Czentovics gespielten osteuropäischen Nationalhymne sowie das im späteren Verlauf der Oper auf Deck des Schiffes spielenden Streichquartetts, eine interessante Kombination dar. Ein offensichtlicher Kontrast wird so durch bloßes Simultanspiel unterbunden und hierdurch fast schon auf banale Art und Weise umgedeutet. Dieser zeigt sich auch im Bühnenbild der Oper. Norbert Ziermann, Ausstattungsleiter der Kieler Oper, gelang eine geschickte visuelle Verbindung der semantischen Räume Bergers. So wird oft in den Hintergrund der jeweiligen Szene mittels Beamer-Animationen und/oder darstellendem Spiel die gedankliche, innere Welt des Dr. Berger visualisiert und integriert. Ob Einsatz eines Chors hinter der durchscheinenden Wand oder szenenüberbrückende 3D-Animation auf der vorderen Leinwand – die Grenzen der Visualisierung scheinen hier, trotz des sonst herkömmlichen Bühnenbilds, gesprengt. Der weitere Verlauf der Aufführung zeigt sich in darstellerischer Hinsicht ebenfalls als äußerst Dr. Berger-zentriert. So kommen die Darbietungen der anderen Sänger nicht sehr stark zu Geltung. Dafür treten die Charaktere in recht überspitzter Weise auf. Die Fürsorglichkeit der weiblichen Pflegerin Dr. Bergers ist in der Stimme Heike Wittliebs nicht zu überhören. Auch Tomohira Takada ist stimmlich wie darstellerisch als sehr glaubhafter Vertreter des reservierten Schachprofis Czentovic wahrnehmbar. Generell herrscht in dem ganzen Stück eine Atmosphäre von nationalsozialistischer Auflehnung, die besonders von Countertenor Michael Hofmeister klar zur Geltung kommt.
Das Konzept Halffters geht also auf. Durch die eigene Schwerpunktsetzung des thematischen Materials, ist die „Schachnovelle“ keine bloße Transformation in eine Literaturoper. Vielmehr ist diese, unter dem möglichen Titel „Die Geschichte des Dr. Bergers“, Ausdruck und Umsetzung der eigenen Rezeption der literarischen Vorlage und somit Expression des eigenen Empfindens von Schach, Widerstand und Wahn Cristóbal Halffters. (ld)
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