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Samstag, 22. Juni 2013

Schach, Widerstand und Wahn - Stefan Zweigs „Schachnovelle“ in der Oper

Mit der „Schachnovelle“ gelang es dem spanischen Komponisten Cristóbal Halffter eine weitere Literaturoper im Kieler Opernhaus aufführen zu lassen. Bereits 2006 wurde seine erste Oper „Don Quijote“, 2008 sein „Lazarus“ im Kiel aufgeführt. In Kooperation mit der Ernst von Siemens Musikstiftung wurde schließlich das Programm des Opernhauses mit einer weiteren Oper der „Neuen Musik“ erweitert. Wolfgang Haendeler erarbeitete dafür das Libretto.
 
Grundlage des Werkes ist die von Stefan Zweig im brasilianischen Exil verfasste gleichnamige Novelle. Mit seiner letzten literarischen Arbeit verarbeitete der in Wien geborene Autor seinen Ekel vor der austrofaschistischen und nationalsozialistischen „völkischen Erhebung“ sowie die Konfrontation mit der Staatsmacht zur Zeit des Nationalsozialismus. 
Das Schachduell zwischen Czentovic (Tomohiro Takada)
und Dr. Berger (Jörg Sabrowski)
© Olaf Struck
Hauptfigur der Geschichte ist zum einen der autistische Bauernjunge Marko Czentovic, der mit seiner ungewöhnlichen Schachbegabung für Aufsehen sorgt und fortan zahlreiche Meisterschaften gewinnt. Zum anderen behandelt die Erzählung das Einzelschicksal des von der nationalsozialistischen Gestapo in einem Hotelzimmer inhaftierten Dr. Berger, der aufgrund seiner Kenntnis zu klösterlichen Besitztümern verhört wird, jedoch keine Aussagen darüber trifft. Nach einiger Zeit der völligen Isolation gelangt Dr. Berger zufällig an ein Schachpartienbuch, das ihm durch die kognitive Herausforderung eine Art Flucht aus der Gefangenschaft bietet. So rekonstruiert er die im Buch aufgeführten Schachpartien, bis er in einen Zustand von Wahn und innerem Konflikt zwischen „Ich Schwarz“ und „Ich Weiß“ gerät, sich allerdings auch zu einem Schachgenie entwickelt, bis ihm schließlich die Flucht aus dem Hotel gelingt. Nach einigen Jahren begegnet er schließlich Czentovic auf einer Kreuzfahrt und hilft einer Gruppe Passagiere eine Schachpartie gegen ihn zu gewinnen. Auf erneute Anfrage der Schiffsreisenden tritt er ein zweites Mal gegen den Schachprofi an und verfällt dabei wieder in einen Wahnzustand, bis er schließlich wieder zu sich kam, jedoch aufgrund der Zeitüberschreitung disqualifiziert wird.

„Seine unter dem Einfluß Sigmund Freuds entstandenen Novellen zeichnen sich durch geschickte Milieuschilderungen und einfühlsame psychologische Porträts aus“, so Literaturkritiker Reich-Ranicki über den Autor. Die bewegende Geschichte des Aufeinandertreffens zweier Schachgenies mit ihrem jeweils ganz eigenartigen Einstieg in die Welt des Schachs soll so auch in Halffters Oper zum Thema gemacht werden. Der aus der Geschichte hervorgehende Grundgedanke von Wahnsinn, verbunden mit dem daraus evozierten Ausbruch von Widerstand gegen das nationalsozialistische System sowie dem aus völliger Isolation hervorgerufenen inneren Konflikt mit sich selbst, wird mittels seiner „neuer Musik“ intensiviert und in den Mittelpunkt gerückt. Durch radikale Erweiterung der konventionellen Formen von Harmonik, Melodik und Rhythmik, zieht der spanische Komponist alle Register. Auf der Suche nach neuen musikalischen Formen und Verbindungen gelingt es ihm, in seinem 100-minütigen Einakter eine engere Verbindung von Klang und Inhalt zu schaffen, die gegen jede Tradition einer klassischen Oper verstößt. 

Der innere Kampf zwischen Ich Schwarz und Ich Weiß  
© Olaf Struck
Der durch Wolfgang Haendeler konzipierte Handlungsstrang weicht dabei vom literarischen Vorbild Zweigs ab, orientiert sich jedoch stark an inhaltlichen Details der Novelle. So fällt die erste Szene des Stückes, die mit der Darstellung der Kindheit Czentovics (Tomohiro Takada) und seiner Entdeckung beginnt, eher knapp aus und wird schnell von der Geschichte des Dr. Berger (Jörg Sabrowski) abgelöst. Schon hier zeigt sich, welchen thematischen Schwerpunkt das Halffter-Haendeler-Drehbuch intendiert und auch in musikalischer Hinsicht erfährt der Zuhörer einen deutlichen Umschwung. Während sich die erste Szene mit einem pausenlosen Orchesterzwischenspiel noch als recht obligatorisch erweist, folgt in der nächsten Szene zur Verhaftung des Dr. Bergers eine dramatisierende Zuspitzung. Durch den von Countertenor Michael Hofmeister gespielten Gestapo-Offizier, welcher mittels trällerhaft groteskem Gesang á la Goebbels – eine Parallele ist kaum zu übersehen – alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, wird die Skurrilität der Oper besonders deutlich. Hier zeigt sich auch das besondere Geschick der Kieler Philharmoniker, die sich unter der Leitung von Generalmusikdirektor Georg Fritzsch mit Bravour darauf einlassen, ihre einzelnen Stimmen mit technisch komplexen Spieltechniken, wie Glissandi-Läufen und ähnlichen chromatischen Figuren in eine musikalische Einheit zu bringen. 

Für den ungeübten Zuhörer eine einzige Kakophonie, stellt es jedoch für den aufmerksamen Anhänger der „Neuen Musik“ eine vielfältige Welt der Klänge bereit. Halffters moderne Kompositionsweise der zeitgenössischen Musik setzt auf Fließgeschwindigkeit, Intonation und komplexe Harmonik, die dabei lediglich ihrer eigenen Gesetzmäßigkeiten untergeben ist und somit großen Raum für das klangliche Material der Sänger offen lässt. Wer klassischen Tonsatz erwartet, ist hier fehl am Platz. 

Eine weitere Besonderheit bietet die Eingliederung von tonalem Material in das atonale Grundgeschehen. So stellt der Einschub einer von der Schiffskapelle zur Begrüßung Czentovics gespielten osteuropäischen Nationalhymne sowie das im späteren Verlauf der Oper auf Deck des Schiffes spielenden Streichquartetts, eine interessante Kombination dar. Ein offensichtlicher Kontrast wird so durch bloßes Simultanspiel unterbunden und hierdurch fast schon auf banale Art und Weise umgedeutet. Dieser zeigt sich auch im Bühnenbild der Oper. Norbert Ziermann, Ausstattungsleiter der Kieler Oper, gelang eine geschickte visuelle Verbindung der semantischen Räume Bergers. So wird oft in den Hintergrund der jeweiligen Szene mittels Beamer-Animationen und/oder darstellendem Spiel die gedankliche, innere Welt des Dr. Berger visualisiert und integriert. Ob Einsatz eines Chors hinter der durchscheinenden Wand oder szenenüberbrückende 3D-Animation auf der vorderen Leinwand – die Grenzen der Visualisierung scheinen hier, trotz des sonst herkömmlichen Bühnenbilds, gesprengt. Der weitere Verlauf der Aufführung zeigt sich in darstellerischer Hinsicht ebenfalls als äußerst Dr. Berger-zentriert. So kommen die Darbietungen der anderen Sänger nicht sehr stark zu Geltung. Dafür treten die Charaktere in recht überspitzter Weise auf. Die Fürsorglichkeit der weiblichen Pflegerin Dr. Bergers ist in der Stimme Heike Wittliebs nicht zu überhören. Auch Tomohira Takada ist stimmlich wie darstellerisch als sehr glaubhafter Vertreter des reservierten Schachprofis Czentovic wahrnehmbar. Generell herrscht in dem ganzen Stück eine Atmosphäre von nationalsozialistischer Auflehnung, die besonders von Countertenor Michael Hofmeister klar zur Geltung kommt. 

Das Konzept Halffters geht also auf. Durch die eigene Schwerpunktsetzung des thematischen Materials, ist die „Schachnovelle“ keine bloße Transformation in eine Literaturoper. Vielmehr ist diese, unter dem möglichen Titel „Die Geschichte des Dr. Bergers“, Ausdruck und Umsetzung der eigenen Rezeption der literarischen Vorlage und somit Expression des eigenen Empfindens von Schach, Widerstand und Wahn Cristóbal Halffters. (ld)

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